Online-Präsenztrainings proben
Vorsichtig öffnen die Theater wieder und Probenlaune macht sich breit. Das Internet ist ja immer offen. Und so sind in den letzten Monaten neue Theaterformate, Seriendrehs, Zoommeetings und Online-Trainings entstanden vor allem Online-Präsenztrainings. Meine Name ist Suse Lichtenberger, ich bin Schauspielerin und Stimmtrainerin und nehme Sie mit auf ein Online-Präsenztraining mit einigen Anleihen an Theaterproben.
Die Probenbühne befindet sich im linchpin office. Die Bühne hat jede Menge Requisiten: Rechner, Kabel, Gegenlicht, Laptop Aufbau, Second screen, Mikrofon, Kamera, natürlich Kaffee und ein großes Glas Wasser. Die Darsteller kommen aus der Wirtschaft und sind Online zugeschalten. Die Probendauer ist auf 2 Stunden festgelegt. Das Ziel für diese Probe ist Online-Präsenz zu trainieren. Es kann also losgehen
Den Körper aufwärmen für mehr Präsenz
Trainieren oder proben beginnt als erstes mit Körper aufwärmen, den Atem fließen lassen, die Stimmbänder aufwecken und die Artikulationswerkzeuge anwerfen. Für Schauspieler:innen eine Routineaufgabe. Ohne unser Instrument, unseren Körper, aufzuwärmen, geht fast gar nichts. Wie soll ich in Rollen schlüpfen, wenn ich meinem Körper und meiner Stimme nicht die bestmögliche Flexibilität zugestehe?
Für die Teilnehmer:innen des Präsenztrainings heißt es also aufwärmen, bitte! Eine ganz bunte Gruppe von Büromenschen aus Human Resources, Sales, Finance, IT und sonstigen Spezialgebieten steigt in den Probenmodus ein. Und zwar zuhause, am Küchentisch, im Gästezimmer, im Schlafzimmer oder im Arbeitszimmer, je nachdem, wo der Computer gerade steht. Sie stehen auf, hüpfen durchs Zimmer, pusten imaginäre Kerzen aus, die Lippen sollen sie flattern lassen, Autofahren spielen, die Zimmerecken grüßen und mit den Händen Schnittlauch klein hacken.
Ich schicke voraus, dass sie andere Wohnpartner:innen vorwarnen sollen, es käme jetzt dann eventuell zu komischen Lauten wie Juchzen und Seufzen. Auch ganze Sätze seien durchaus drin. Man möge davon absehen, sich Sorgen zu machen oder die Rettung zu rufen. Neugierig sind die Mitbewohner:innen schon, sie stecken ab und zu die verwunderten Köpfe in die Tür: „Alles ok?“
Oft wird mir rückgemeldet, die eine oder andere Aufwärmübung lasse sich super in die tägliche Home-office Routine einbauen und der Nutzen sei unmittelbar spürbar.
Vielleicht liegt es an dem großen Angebot an Online-Fitness oder Yoga-Klassen und der Erfahrung damit, vielleicht ist es der geschützte Raum der eigenen 4 Wänden, es wird „mitgeturnt“ und „mitgetönt“.
Improvisation ausdrücklich gewünscht
Im Theater gilt die Kunstform Improviation als König:innendisziplin: einfach labern, es laufenlassen, nicht versuchen, witzig oder originell zu sein. Manche meiner Kolleg:innen scheitern, weil sie dabei zu viel denken und zu viel wollen.
Meine Teilnehmer:innen genießen das Improvisieren sichtlich. Endlich mal keine Sinnzusammenhänge herstellen, keine Expertise, keine straffen Gedankenstränge. Und weil das so gut klappt, zeige ich, worum es im Kern geht: Wir sprechen, erklären, argumentieren und diskutieren mit so vielen verschiedenen Emotionen. Oft mehrere in einem einzigen Gedankengang. Und diese Emotionen machen unseren Redefluss lebendig, sie unterstreichen, was uns wichtig ist, sie helfen den Zuhörer:innen, das Gehörte einzuordnen und sie machen Motivation ansteckender.
Im Büroalltag verbietet man sich diesen Zugang zu lebendigem Sprechen manchmal. Dabei meine ich nicht, eine andauernde Achterbahn der Gefühle erleben und ausdrücken zu müssen. Wie wirke ich professionell und wie nützen hier Emotionen? Contenance scheint wichtig zu sein.
Charisma heißt Gefühle teilen
Auf der Suche nach eigenen beruflichen Vorbildern landen wir immer wieder bei Charisma. Charismatischen Menschen, also Menschen, die eine gewisse Ausstrahlungskraft haben, schaffen es, uns in ihren Reden zu fesseln. Der Inhalt erhält erst mit Körpersprache und Stimme seine Anziehungskraft.
Und so schließt sich der Kreis zu den Schauspieler:innen. Auf der Bühne schauen und hören wir denen am liebsten zu, die ausstrahlen, die uns mitnehmen, die ihre Gefühle mit uns teilen, denen können wir Glauben schenken. Gut gespielt ist nicht einfach. Gut spielen lässt sich mit einer Portion Talent erlernen, u.a. durch ausprobieren, durch Übertreibung und Untertreibung, durch Erforschen der eigenen Ausdrucksmöglichkeiten und durch Improvisieren.
Lebendig vortragen im Online-Modus
Meine Teilnehmer:innen improvosieren zu ihren Hobbies, dem Wetter, übers Kochen, Gebrauchsanleitungen und über sinkende Schiffe und einsame Inseln. Sie sind kreativ, chaotisch, fantastisch, assoziativ, lustig und sie zeigen Gefühl. Oft „besser“ als ein Profi.
Die zusehenden Teilnehmer:innen bekommen einiges geboten: lebendige Vorträge, überzeugende Präsentationen von vor der Computerkamera sitzenden Kolleg:innen, die sich so noch nie präsentiert haben und offensichtlich viel Spaß haben. Es wird applaudiert, anerkennend genickt und viel Feedback ausgetauscht. Wer so improvosieren kann, gewinnt Sicherheit für berufliche Präsentationen. Für eine starke Präsenz im virtuellen Raum heißt es mutig und zugleich wohltemperiert Gefühle einzusetzen, so bringt jede und jeder den schwierigsten Stoff gut über die Online Bühne.
Im Nu sind 2 Stunden vorbei. Das nächste Meeting steht schon, manchmal muss der Hund raus oder jemand steckte wieder einmal den Kopf in die Tür.
Sobald Trainings in Präsenz wieder möglich sind, können die Teilnehmer:innen beide Probebühnen betreten – die Bühne Meetingraum im Office und die Bühne Home-office. Beides, Präsenz und Streaming sind auch für uns Schauspieler:innen die Bretter, die den Beruf bedeuten.
Ihre Suse Lichtenberger
Zertifizierte Stimm- und Sprechtrainerin
Master Stimmtherapeutin
Diplomierte Schauspielerin